Written by 07:31 #E1DE, Deutschland, Fernwandern, Tourtagebuch • 9 Comments

[E1DE Tag 00] Ganz weit oben

20F und 20E. Das sind die zwei Sessel, wie wir vor etwa einer halben Stunde besetzt haben – und von denen wir uns erst in etwa 1,5 Stunden zu erheben gedenken. 1000 km weiter nördlich – aber was ist das schon …

Der letzte gemeinsame Weitwanderweg? Das muss wohl 2012 gewesen sein, als Fräulein A und ich den Alpe Adria Trail bestritten. Unsere damalige Tour begann ebenfalls Ende April. Dazwischen vergingen fast auf den Tag genau sechs Jahre.

Und fünf Buchprojekte. Wobei unser Alpe-Adria-Trail-Buch (übrigens mittlerweile in der dritten Auflage) leider das einzige war, wo wir wirklich von Anfang bis zum Schluss gemeinsam dran bleiben konnten. Seit 2012 nagt Astrids Tätigkeit an den Hebeln der giebelgekreuzten Macht unangenehm an der uns zur Verfügung stehenden Sommerfreizeit. Ich tu mir mit der Zeiteinteilung etwas leichter, da ich seit Jahren nur mit Partnern zusammenarbeite, die wissen, dass ich während der Wandersaison nicht für irgendwelche “Haus”-Aufgaben zur Verfügung stehe. Dafür sind dann halt die Winterabende ein wenig länger … und die Winterwochenenden ein wenig kürzer. Fräulein A warf dafür ihren Jahresurlaub in die Waagschale, um bei unserem neuen Buchprojekt wieder an vorderster Front dabei sein zu können.

Es ist in vielerlei Hinsicht unser größtes Projekt bisher: Wir stehen ab morgen früh vor der spannenden Herausforderung, einen Wanderführer zu verfassen, wie es ihn in dieser (Strecken-)Länge in Europa noch nicht gibt. Selbst mein letztes Buch ist 600 Kilometer kürzer als unser neuestes Baby. Dabei war Wien – Lago Maggiore mit seinen 1300 Kilometern der “längste” Wanderführer der Alpen.

Unser neues Buchprojekt ist meines Wissens der erste Weitwanderführer, der im Bergverlag Rother in zwei Bänden erscheinen wird. Schon im Vorjahr habe ich mit “Wien – Lago Maggiore” die maximale Seitenanzahl meines Verlagshauses bis aufs letzte Blatt ausgereizt. Knapp 300 Seiten sind für einen Wanderführer schon ordentlich viel – deshalb sind diesmal von (Verlags-)Haus aus gleich zwei Bücher geplant.

Heuer bleibt der Alpenraum allerdings einmal außen vor – auch andere Gegenden haben schöne Wanderwege. So werden wir uns (und später im Jahr nochmals ich alleine) heuer ausschließlich weit im Norden herumtreiben.

Deutschland nord-süd

Genau diese Aufgabe wird uns also zumindest bis 2020 begleiten. Wenn wir morgen hoch oben an der dänisch-deutschen Grenze unsere Sonnenhüte Richtung Süden ausrichten, erwartet uns ein für uns völlig neues Terrain. Auf den Moränen einer Eiszeit, die mit unserer “Würm” Eiszeit nur mittelbar verwandt ist, beginnt unsere anfangs nicht von allzuvielen Höhenmetern geprägte Tour entlang der deutschen Ostseeküste (wobei uns am Vormittag bereits knapp 300 Höhenmeter erwarten – wer hätte das gedacht?). In unserer ersten Tourenwoche entlang der Achse Flensburg – Kiel – Lübeck hat Fräulein A genügend Gelegenheit, die Segelboote zu beobachten, die an der Wahl unseres Startpunktes nicht ganz unbeteiligt waren. Immerhin verbrachte Fräulein A dereinst in ihrer aktiven Segelzeit viele Tage auf offener See.

Nach Lübeck schwenken wir dann in Gehrichtung stark nach rechts, um irgendwann nach zwei-drei Wochen Hamburg zu erreichen. Bald nach der Elbe-Überquerung fängt Deutschland an, Falten zu kriegen. Unser Nachbar hat zwar den Ruf, in Sachen Höhenmeter nicht besonders viel Abwechslung zu bieten, aber das ist Blödsinn. Niederösterreich zum Beispiel hat ebenfalls keinen ernstzunehmenden Anteil an den Alpen mehr, aber kein Mensch mit Kenntnis der Region würde in Abrede stellen, dass es dort nicht auch ordentlich auf und ab gehen kann. Und so ist’s in Deutschland auch, wo man sich am Weg von Nord nach Süd sehr bald nach Schleswig-Holstein an die Voralpen erinnert fühlt. Gebirgszüge, die zwar nicht oft über 600 m Seehöhe hinauskommen, am Ende des Tages aber trotzdem 1000 Meter im Aufstieg zusammenbringen. Der höchste Punkt unserer gesamten Tour kommt übrigens erst nächstes Jahr dran. Der Freiberg im Schwarzwald ist mit seinen 1400 Metern angeblich so hoch, dass man von dort oben mit freiem Auge die Chinesische Mauer ausmachen kann.

Europa nord-süd

Unser Leitthema ist diesmal ein Wanderweg namens E1. Er ist einer von zwölf Fernwanderwegen, die sich quer über Europa spannen. Der E1 verläuft vom Nordkapp bis an die Südspitze Siziliens. Dabei berührt er auf insgesamt 7000 Kilometern zuerst alle skandinavischen Länder, bevor er über Deutschland und die Schweiz den italienischen Stiefel anvisiert. Wer alle Abschnitte (=Länder) dieses Weges durchqueren möchte (so wie ich), hat an der dänisch-deutschen Grenze bereits die Hälfte der gesamten Strecke hinter sich. Das muss man sich einmal vorstellen! Man ist bereits fünf Monate immer Richtung Süden unterwegs, und ist gerade erst mal in Berlin!

Jedenfalls: Dieser E1 ist ein europaweites Gemeinschaftsprojekt vieler vieler VIELER Wandervereine, die in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsgebiet diesen Fernwanderweg mal vorbildhalft, mal weniger aufmerksam markieren. Insgesamt gilt er als “durchgängig in der Landschaft vorhanden”, wenn man von einer Lücke in Kalabrien absieht, die aber wohl auch noch vor 2020 geschlossen wird. Wie gut er auf den 1900 Kilometern zwischen Flensburg und Konstanz tatsächlich markiert ist, wird sich weisen. Die wenigen Berichte zu Gesamtbegehungen, die es im Internet gibt, meinen, es wäre wie überall: Mal so, mal so. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir der Bericht einer Wanderin, die irgendwo in Schleswig im Moor stecken geblieben ist und von Helfern rausgezogen werden musste.

2000 km weiter oben

Unsere Sitze 20F und 20E haben wir inzwischen verlassen und befinden uns nach einem kurzen Gastspiel am Hamburger Hauptbahnhof auf dem Schienenstrang Richtung Flensburg. Im Moment sieht’s gut aus, dass wir in Kupfermühle an der dänischen Grenze noch etwas zu essen bekommen. Wie jeder Mensch, der sich gründlich auf eine solche Expedition vorbereitet, überlassen auch wir auch da oben im rauen Norden nichts dem Zufall: Die Satellitenkameras von Google haben uns dabei geholfen, die Entfernung von unserem Quartier zur Ortspizzeria schon vorab auszuloten.

Damit schließe ich für heute. Aus dem linken Zugfenster sehe ich gerade bis nach Holland, und das rechts hinten dürfte Polen sein. Das ist gerade alles sehr spannend hier. Und neu – große Vorfreude!

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Schlagwörter: , , , Last modified: 23. November 2018
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